metastadt


die ringe des saturn
25/08/2012, 13:32
Filed under: simple stories

ich muss gerade an w. g. sebald denken, der auf seiner englischen wallfahrt eine szene in einem zug, zwischen norwich und lowestoft beschreibt: „meine wenigen mitreisenden saßen im halbdunkel auf den abgewetzten lilafarbenen sitzpolstern, alle in fahrtrichtung, möglichst weit von einander entfernt und so stumm, als hätten sie noch niemals in ihrem leben ein wort über die lippen gebracht.“

ich bin heute unterwegs in einer anderen stadt. am rande passiere ich das schaufenster des cafè am platze: die wenigen insassen sitzen auf den abgewetzten rotbraunen polstern, alle in blickrichtung eingang, möglichst weit voneinander entfernt. sie sitzen reglos und stumm, halten gläser oder tassen fest in der hand gerade so, als hätten sie noch nie einen zweckfreien kontakt mit einem anderen menschlichen wesen gehabt. agressives schweigen…

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kurz später in einer seitenstraße, in einem “must-know”-cafè füttert eine dame der gesellschaft ihren frisierten terrier. der hund, mit dem farblich zum kostüm gewählten halsband, bekommt croissant und evian wasser.

das, was mich an sebald so fasziniert ist, dass er in ganz banalen momenten der begegnung mit natur und kultur chiffrierte codes entziffert. er muss sich teilweise hart daran abarbeiten auf diese weise ein sittengemälde der entstehungszeit seines romans um 1992 zu zeichnen.

manchmal denke ich, so ein roman ist heute nicht mehr schreibbar, da es diese chiffren nicht mehr gibt. es gibt die konservierten guten alten zeiten, die unter einer schicht tafellack einem ende hindämmern, das durch die globalisierung lediglich gefristet ist. auf der anderen seite gibt es so eindeutige durchbrüche, dass jeder, der davon notiz nimmt, nur noch chronist sein kann.

zu guter letzt stellt sich mir die frage, hat die gesellschaft twitter hervorgebracht oder twitter die gesellschaft? und, werden die tweets auf alle zeiten verfügbar bleiben?

fare well meister sebald!


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